„Getting It Wrong“ behandelt Fehlerhaftes als Strategie künstlerischer Praxen, die mittels unterschiedlicher medialer Ausdrucksformen im Spannungsfeld zwischen Handlung und Sprache agieren. Die Ausstellung zeigt Arbeiten bei denen Fehlleistungen nicht als Unvermögen verstanden, sondern bewusst eingesetzt und damit zu einer Form der sozialen Kommunikation werden. Mittels fehlerhafte Objekte wird über gesellschaftliche Normen sowie das Versagen sozialer und anderer Utopien reflektiert. Übersetzungsfehler und Divergenzen zwischen Text und Sprache erzeugen Missverständnisse und Bedeutungsverschiebungen. Fehlerhaftes erscheint als etwas, das sich verorten lässt, das sich einschreibt in Subjekte, Objekte, Medien und Handlungen.
„Getting It Wrong“ zeigt weder Arbeiten in denen Fehlerhaftes auratisiert wird, noch nehmen diese mittels großer Gesten ein subversives Handeln in Anspruch. Stattdessen werden durch spezifische Setzungen und Veränderungen entweder Reibungsflächen erzeugt oder die Bruchstellen scheinbar reibungsloser Abläufe ausfindig gemacht. Die Ausstellung setzt dort an, wo Normen ins Wanken geraten, Verwirrung einsetzt und Lachen als die einzige Lösung erscheint.
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Heike Bollig
„Errors in Production“, 2004 laufend
In der Ausstellung ist eine Auswahl von Objekten sowie fotografischen Abbildungen aus der Serie „Errors in Production“ zu sehen, einer Sammlung der Künstlerin von maschinell erzeugten Produkten, bei denen Produktionsfehler aufgetreten sind. Das Interesse an den im Verborgenen bleibenden Prozessen, die der Herstellung von Objekten zugrunde liegen, kommt in der Arbeit ebenso zum Ausdruck wie ein bewusstes Anvisieren dessen, was in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Abfall wird. Die Arbeit steht aber auch in der seit der Moderne existierenden Tradition künstlerischer Positionen, deren Faszination für gefundene Objekte – allen voran Marcel Duchamps Readymades – mit der Reflexion über Fragen künstlerischer Autorenschaft sowie dem Status des Kunstobjekts in Verbindung steht. Durch ihre Einmaligkeit erinnern die Objekte aber gleichzeitig an einen traditionellen Kunstbegriff. Im Kontext gegenwärtiger, künstlerischer Produktion kann die Faszination für fehlerhafte Produkte auch als Einforderung einer individuellen Position verstanden werden, ohne dabei eine spezifische, subjektive Ausdrucksform definieren zu wollen, sondern um sich stattdessen widerständig im Kontext alltäglicher Situationen zu verorten.
Dass es der Künstlerin auch um den Prozess des Archivierens und Sammelns geht, wird deutlich in der virtuellen Präsentationsform der Arbeit (www.errors-in-production.info), in der Herkunft, Finder sowie Fundort und -jahr jedes Objekts präzise festgehalten werden.
„On Errors“, 2005
Die Videoinstallation zeigt Heike Bollig im Dialog mit der Kamera als Sammlerin von fehlerhaften Objekten unterschiedlicher Art und kontextualisiert die Serie „Errors in Production“. Das Thema des Fehlers beschäftigte die Künstlerin über viele Jahre und wurde zum Ausgangspunkt mehrerer Arbeiten.
www.errors-in-production.info
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Adam Chodzko
„Hole“, 2007
Anlässlich der Wiedereröffnung des Museo d’Arte Moderna di Bologna (MAMbo) entwickelte Adam Chodzko die Videoarbeit „Hole“, in der die Architektur des Museums im wahrsten Sinne des Wortes zur Projektionsfläche imaginierter, institutioneller Bedürfnisse und Wunschvorstellungen wird. In dokumentarisch anmutender Erzählweise wird eine fiktive Geschichte gesponnen, die vom fehlgeschlagenen Versuch des Museums handelt, mittels künstlerischer Intervention, die durch Besuchermassen entstandene Distanz zu seinem Publikum zu überbrücken. Über eine am Museum montierte LED-Anzeigetafel kommuniziert im Film eine von einem eingeladenen Künstler ausgewählte Frau täglich ihre Gemütszustände. Auf Grund ihres kontinuierlich wachsenden Bekanntheitsgrades muss das Projekt jedoch abgebrochen werden. Die Löcher in der Fassade des Museums, die sich aus der Demontage der Anzeigetafel ergeben, werden zum Zeichen einer fehlgeschlagenen Utopie. Die von Chodzko tatsächlich am Museum vorgenommenen Einkerbungen erscheinen im Film in erotisch-spielerischer Interaktion. Über das Motiv der leeren Fläche und des bewussten, destruktiven Eingriffs in die Oberfläche der Architektur reflektiert der Künstler über Prozesse öffentlicher Kommunikation.
www.adamchodzko.com
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Stefan Eichhorn
„Domino“, 2008
Das Stahlbetonskelett von Le Corbusiers 1914 entworfener Maison-Domino war als moderne, funktionale und für die Massenproduktion geeignete Bauweise gedacht. Es war allerdings der Sozialwohnbau der 60er und 70er Jahre, allen voran die Plattenbauweise, die Le Corbusiers Konzept eine internationale Präsenz verliehen. Ironischerweise lässt sich „Domino“ nicht nur vom lateinischen Begriff „domus“, also Haus, ableiten, sondern erinnert auch an die Steine, die beim gleichnamigen Spiel in Folge einer Kettenreaktion zu Fall gebracht werden. Im durch einen Motor erbebenden Architekturmodell „Domino“ wird der Inbegriff modernistisch-rationalen Bauens miniaturisiert und im wahrsten Sinne des Wortes „zu-Fall-gebracht“ als Referenz auf das Scheitern architektonischer Verwirklichungen sozialer Utopien.
„Tent“, 2010 - „A Weekend in the Countryside“, 2010-2012 - „Paper Model (Icosahedron)“, 2010 - „Paper Model (Octahedron)“, 2011 - „Paper Model (Triacon)“, 2012
Stefan Eichhorns Collagen, Modelle und installative Arbeit basieren auf der Recherche zu sozialen Utopien der US-amerikanischen Hippiekultur und deren Verschränkung mit den architektonischen Formfindungen der „geodesic domes“ des amerikanischen Architekten Buckminster Fuller. So entstanden etwa in der 1965 gegründeten „Drop City“ in Colorado im Laufe mehrerer Jahre bewohnbare Konstruktionen, die zwar versuchten die Formensprache von Fullers Architektur möglichst exakt zu übernehmen, sich allerdings jenseits von dessen präziser, rationaler und technisch avancierten Bauweise befanden. Bestehend aus Hühnerdraht, Papier und anderen gefundenen Materialien wurden diese überdimensionalen Zelte zum Ausdruck einer Kultur des kollektiven Rückzugs.
In seinen Modellen und Collagen, allen voran der zeltartigen, architektonisch-skulpturalen Konstruktion „Tent“ nimmt Stefan Eichhorn Bezug auf diese Geschichte. Im Gegensatz zu den originalen Vorbildern der 60er Jahre, stellen Eichhorns Zelte aber keinen Versuch dar, die Formensprache von Fullers Konstruktionen möglichst exakt zu imitieren, sondern präsentieren sich stattdessen bewusst deformiert und erscheinen geradezu mitleiderregend. Im Kontext der Ausstellung interessiert vor allem eben jene von Eichhorn gewählte imperfekte Formensprache, mit der nicht nur Bezug genommen wird auf das Versagen eines spezifischen Moments sozialer Utopie, sondern auch auf die de facto Ineffizienz besagter Bauweise. Architektur wird zum Handlungsträger an dem die Reibungsfläche zwischen Utopie und Realität zum Ausdruck kommt.
www.stefaneichhorn.de
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Michael Kargl
„you, evidently, are a timewaster“, 2008-2010
Ausgangspunkt dieser Arbeit war ein open call der Newsletter-Betreiberin ShaVis, die Künstler/innen, Illustrator/innen und Designer/innen dazu einlud, ihre Homepage zu gestalten. Das Resultat sollte zu einer Publikation gebunden werden, deren Erlös ausschließlich ShaVis zukommen sollte, ohne dabei die teilnehmenden Künstler/innen zu berücksichtigen. Michael Kargl – unter dem Pseudonym carlos katastrofsky – folgte der Einladung, sendete jedoch ausschließlich weiße Seiten ein, worauf er von den Betreibern der Website mit dem Vorwurf ein Zeitverschwender zu sein zurückgewiesen wurde.
Das bewusst provozierte Versagen des Künstlers wird zum Verweis auf die vorherrschende Ausbeutung und das Prekariat, mit dem Künstler/innen zu kämpfen haben. Im Kontext der Ausstellung interessiert jedoch nicht nur die gezielte Strategie des Versagens, sondern vor allem das Moment der weißen Seite, die sich als Übersetzung des „blank canvas“, der „leeren Leinwand“ lesen lässt, deren Ursprung in der Moderne liegt und den Inbegriff künstlerischen Versagens darstellt. In Henry James’ „The Madonna of the Future“ (1880) etwa wird dadurch das Scheitern der Künstlergestalt definiert. Durch die bewusste Einbindung dieses Motivs in eine Auseinandersetzung mit dem ökonomischen System des Kunstbetriebs verschiebt sich der Fokus von der leeren Leinwand als Ausdruck des persönlichen Versagens eines romantisch verklärten Künstlergenies zum weißen Blatt als Kommunikationsmedium um die Bedingungen künstlerischer Produktion zu hinterfragen.
„on translation“, 2008-2010
Ein vom Künstler im Kontext einer Performance erstelltes Computerprogramm transferiert Walter Benjamins Text über den Übersetzer in Einsen und Nullen, der in weiterer Folge wieder in Textform rückübersetzt wird, wobei durch ein programmiertes Zufallssystem Fehler eingebaut wurden, die sich in jedem einzelnen Fall anders darstellen.
Die Arbeit stellt eine Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Verständnis von textueller Übersetzung als Form der Bedeutungsproduktion und als Überbrückung von Distanz dar. Bei Michael Kargl geht es stattdessen beim Prozess des Übersetzens um den Moment des Bedeutungsverlusts, der vom Zufall bestimmt ist, und jeweils individuell unterschiedlich erscheint. Auch wird hier de facto nicht direkt von einer Sprache in eine andere übersetzt, sondern über die Vermittlung eines klar kalkulierten Systems – das der Computersprache – wieder in die ursprüngliche Sprache rückübersetzt. Es ergibt sich daraus eine zirkuläre statt einer linearen Bewegung. Ein Prozess der Verfremdung des Eigenen und Vertrauten wird in Gang gesetzt. Bedeutungsverschiebungen und -verluste stellen sich demnach auch innerhalb eines spezifischen Kontexts als sich verändernde Wissensdiskurse dar.
www.michaelkargl.com
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Woody Pollen
„Poteau Pourri“, 2012
Unter dem projektspezifischen Namen Woody Pollen schuf der französische Künstler Olivier Castel eine neue Arbeit, die im Korridor, der die einzelnen Ausstellungsräume verbindet, zu sehen ist. Sechs grafische, comicartig abstrahierte Telegrafen- oder Strommasten erstrecken sich über die gesamte Länge des Ganges und werden durch überdimensionale Kabel, die knapp unter der Decke des Raumes gespannt sind, miteinander in Verbindung gesetzt und im Spiegel am Ende des Korridors gedoppelt. Beim Eingang hängen die Kabel lose in der Luft. Kommunikation erscheint als gekappt, die Holzmaste verlieren ihre ursprüngliche Funktion als Träger von nicht sichtbarer Information während deren Potential zur Kommunikation in der Gestaltung der Oberfläche wiederkehrt. Mittels mehrerer textueller und bildlicher Interventionen des Künstlers, die an wie zufällig platzierte Notizen im öffentlichen Raum erinnern, bezieht der Künstler sowohl gefundenes Material mit ein, als auch Referenzen zu vergangenen Projekten, die auf spielerische Weise verschiedene Schichten von Information in die Arbeit einführen.
Der Titel greift das Moment der Überlagerung und Schichtung auf, indem der Künstler sich auf die französische Begriffe „pot-pourri“ und „poteau“ (der Telegrafenmast) bezieht.
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Laure Prouvost
„Owt“, 2007
In dieser frühen Arbeit der Künstlerin reflektiert der amerikanische Kurator Michael Connor über die Verortung des Filmischen im künstlerischen Kontext während die eingeblendeten Untertitel einzelne Begriffe des Gesprochenen aufgreifen um ein surreales Narrativ alltäglicher Situationen zu konstruieren. Die Künstlerin montierte den vom Kurator verfassten Monolog zu einem Dialog indem sie diesen als Ausgangsmaterial der Arbeit einsetzte. „Owt“ meint die Umkehrung von „Two“ als Referenz auf die dialogische Situation. Mittels eingefügtem Bild- und Textmaterial, das von sprachlicher Fehlerhaftigkeit und einer unzusammenhängenden Erzählweise geprägt sind, verfremdet die Künstlerin die ursprünglich didaktische, lecture-artige angelegte Form der Präsentation. Es werden unterschiedliche Inhaltsebenen eingeführt, die in Abhängigkeit voneinander existieren, deren Bedeutung sich jedoch kaum vollständig erschließen lässt. Prouvost fordert den/die Betrachter/in als Sinnproduzent/in heraus, indem sie diese mittels eingeblendeter textueller Zwischentexte direkt adressiert.
„The Wanderer (Betty Drunk)“, 2011
Die Arbeit der Ausstellung ist der zweite Abschnitt von Prouvosts mehrteilig geplanter, filmischer Produktion „The Wanderer“, die sich auf den gleichnamigen Text des britischen Künstlers Rory Macbeth bezieht (2010). Dieser hatte ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein oder sich Übersetzungshilfen irgendwelcher Art zu bedienen, Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung (1912) vom Deutschen ins Englische übersetzt. Macbeths Text macht Begriffe der deutschen Sprache, die Objekte definieren, zu Orten; Charaktere werden erschaffen und es entfaltet sich eine völlig neue, surreale Handlung. Prouvost entwickelte ein wiederum nur lose an Macbeths Text orientiertes Script, das dem Film zu Grunde liegt. In der hier gezeigten Sequenz torkelt die Protagonistin Betty in trunkenem Zustand durch einen Club und die Straßen einer nächtlichen Stadt. Sie spricht mit denen, die ihr begegnen, ständig der Meinung jemanden aus der Vergangenheit wiederzuerkennen. Gleichzeitig scheint sie sich aber auch der Präsenz der Kamera bewusst zu sein, die sie immer wieder direkt adressiert. „I’m just a fucking image“ schreit sie der Betrachterin entgegen. Sie beschwert sich darüber, dass ihre Worte und Lippen nicht synchron funktionieren und fordert ein, dass man das Bild gerade richten möge. So wie die Protagonistin kaum fähig ist sich gerade zu halten, so schwenkt auch die Kamera in alle Richtungen scheinbar unfähig sich für ein Bild, eine Einstellung entscheiden zu können. Handlung und Form überlagern sich, ohne jedoch jemals eine wirkliche Einheit zu bilden. „Can you please stop the screen from falling“, verlangt Betty und scheint dabei die Position des/der Betrachter/in des Films vorwegzunehmen, die tatsächlich einer Leinwand gegenübersteht, die scheinbar von der Wand zu fallen droht.
Fehlerhaftes erscheint in Prouvosts Arbeit nicht nur in visueller und narrativer Form im Sinne der schrägen Leinwand und dem betrunkenen Zustand der Protagonistin, sondern ist bereits eingeschrieben in den Entstehungsprozess der künstlerischen Arbeit. Auf das Unterfangen einer sprachlichen Übersetzung, der eine bewusste Fehlleistung zu Grunde liegt, folgte die Übersetzung in ein Filmscript, das wiederum nur einzelne Charaktere, Sequenzen und Emotionen aufgreift ohne die Bedeutungszusammenhänge des ursprünglichen Kontexts wiedergeben zu wollen, sondern um stattdessen daraus Neues zu schaffen. In filmischer Form erscheint die Arbeit dann wiederum nur fragmentarisch, einerseits als Fragment eines großen Ganzen, das noch gar nicht existiert, andererseits auch in sich fragmentarisch, da die lineare Erzählweise durch Einblendungen konsequent gebrochen wird, die die filmische Diegese sprengen.
www.laureprouvost.com
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Annika Ström
„Seven Women Standing in the Way“, 2011
Die letztes Jahr erstmals in Berlin aufgeführte Performance, die für die Ausstellung im weissen haus eine Neuauflage erfuhr, zeigt sieben Frauen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren, die am Eröffnungsabend wie zufällig im Eingangsbereich der Ausstellung stehen. Sie scheinen sich dessen nicht bewusst zu sein, dass ihre Präsenz den Besucher/innen den Zugang zur Ausstellung erschwert. Die sieben Frauen fordern dezidiert Raum ein ohne sich jedoch ihres Handelns bewusst zu sein bzw. erachten sie dieses als selbstverständlich. Ein Verhalten, das im alltägliche Leben als störend und unangebracht empfunden wird, wird von Ström eingesetzt um Verhaltensnormen im sozialen Kontext und auch deren geschlechtsspezifische Kodierung zu befragen.
www.annikastrom.net
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